Mein Buch "Perfide" ist am 15. März 2016 bei Amazon, Bookrix sowie in vielen anderen E-Book Shops erschienen. Hier eine Leseprobe davon:
"Perfide" von Isabella Backasch Kapitel 1 (Leseprobe)
Stephanie Kalt war Waise. Sie hatte keine Familie, keine Verpflichtungen; keine Liebesbeziehung kreuzte in ihrem Leben auf. Trotz leichter Pummeligkeit stellte die Blondine eine angenehme Erscheinung dar. Seit einigen Jahren war Frau Kalt als Bürokauffrau in einem mittelständischen Baustoffunternehmen mit Sitz im Industriepark Mettmann Ost an der Straße Zur Gau tätig. Obwohl sie bei den meisten Mitarbeitern gut ankam, blieb es zumeist bei oberflächlichen Bekanntschaften. Nur mit Beate Hars hatte sich „Fräulein Stephie“ - wie man sie mit leichter, wohlwollender Ironie im Büro betitelte – angefreundet. Schon beim Vorstellungsgespräch hatte der gut aussehende Geschäftsführer, Dirk Droge, ein Auge auf die süße Stephie geworfen. Schüchtern registrierte sie das Interesse des grünäugigen Blonden an ihrer Person. Herr Droge schickte Stephie in den ersten Monaten nach der Einstellung Blumen samt Karten mit zarten Worten. Sie wollte, nein, sie konnte, nicht auf diese Beziehung eingehen. Eva Koscht, von der Warenannahme, sollte doch schon seit langem seine feste Freundin sein – die reizende Eva mit ihrem kurzen, schwarzen, gelockten Haar, obendrein zahlreichen fröhlichen Sommersprossen in dem ovalen Gesicht. Ihretwegen ließ Stephie die Avancen ihres Bosses erwiderungslos an sich vorbeiziehen. Sie war stets bemüht, die Gespräche mit ihm auf rein geschäftliches zu begrenzen. So oft sie nur konnte, wich sie seinen sehnsüchtigen Blicken aus. Eines Tages fand sie in ihrem Schreibtisch einen handgeschriebenen Zettel vor. Auf diesem stand: „Ein Blick von Dir, Frau Stephanie, und meine Beziehung mit Eva ist endgültig beendet. In Liebe.“, gezeichnet: „Dein Dirk.“ Stephanie erschrak bei diesen Worten, ließ den Zettel unbemerkt in ihre Handtasche gleiten. Wie gerne würde sie es tun. Es ging einfach nicht. Völlig unvorstellbar. Sie wollte sich weder Eva Koscht noch die anderen in der Firma zu Feinden machen. Stephie hatte die Wahl zwischen unerfüllter Liebe und Mobbing. Schweren Herzens entschied sie sich für das Erstere. „Liebe kommt, Liebe geht.“, hatte Stephie die Waisenhausleiterin oftmals eingeimpft. Seit dem glaubte die Bürokauffrau, dass Liebe nur vergänglich sei, aber Arbeit brauchte sie wirklich, um sich am Leben zu erhalten.
Stephanie hatte Probleme, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Ihr ganzes Leben lang lebte sie unter Autodiktat anderer. Die Routine im Waisenhaus verlangte ihr Unterordnung, Gehorsam, geradezu diabolische Disziplin ab. Selbständige, bzw. vom Erlernten abweichende Verhaltensweisen mied sie. Die potenzielle Beziehung mit Dirk Droge war nicht die Erste, die die junge Frau durch ihr verzwicktes Denkmuster boykottiert hatte. Sie konnte gut mit ihren Mitmenschen zusammenarbeiten, was nach so vielen Jahren im Kinderheim nicht erstaunlich klingt, doch mehr als das Geschäftliche war nicht drin. Näher lies die junge Frau Nichts und Niemanden an sich heran. Die Bürofreundschaft, die sich ergeben hatte, ging mehr auf das Konto der äußerst kontakthungrigen Beate mit einem Feingefühl für menschliche Regungen, die man leicht mit der Manövrierfähigkeit eines ausgewachsenen Elefantenbullen in einem winzigen Porzellanladen gleichsetzen könnte. Schweren Herzens arrangierte sich Stephanie mit der unheilbar lebenslustigen und plauderfreudigen Beate; es war sowieso unmöglich, sie abzuwimmeln. Dirk Droge hatte noch nie einen Korb erhalten. In der Schulzeit war der große Blonde stets Mädchenschwarm Nummer Eins gewesen. Seitdem er in der Firma seiner Eltern angefangen hatte – zuerst als Azubi, dann nahtlos als eigener Chef – sagte ihm sowieso keine mehr „Nein“. Ob es wohl daran lag, dass er sich seine Affären stets unter dem eigenen Personal suchte? Als Stephanie Kalt eingestellt wurde, war ihm seine Freundin, Eva Koscht, bereits reichlich überdrüssig geworden. Trotzdem beendete er die Beziehung nicht; ein Mann wie er war äußerst ungern solo.
Stephie war besonders schwer zu knacken; weder Blumen, noch Briefe oder ein in der Schublade gesteckter Zettel mit einem offenen Angebot, zeigten Wirkung. Er hätte die Kleine auch fallen lassen und sich anderswo umsehen können. Beate Hars zum Beispiel, wartete schon lange mit offenen Armen auf ihn – sie war zwar nicht ganz sein Typ, für eine kurze Liaison jedoch gut genug. So einfach ließ sich der Jungunternehmer eine einmal anvisierte Beute nicht entgehen. Noch einen letzten Versuch wollte er unternehmen...
Einige Stunden nach Feierabend hatte jemand unangemeldet an Stephies Tür in der zwischen Mettmann und Wülfrath gelegenen Ortschaft Niederschwarzbach geschellt. Zaghaft meldete sich die junge Frau an der Sprechanlage: „Ja?“ „Dirk Droge!“, klang es recht brüsk von unten. Stephie zuckte zusammen. Was wollte ihr Chef hier und um diese Zeit von ihr? Am Liebsten hätte sie ihm erst gar nicht geöffnet. Nun stand er in ihrem Zimmer und fixierte sie schweigend mit seinen grünen Augen. Stephie wurde mulmig zu Mute, ein ungutes Vorgefühl beschlich sie. Ihr Hals war wie zugeschnürt. Dafür hatte Dirk plötzlich eine ganze Menge zu sagen: „Fräulein Kalt...Stephie, wir sind doch beide erwachsene Menschen. Ich habe Dir schon mehrfach meine Liebe gestanden. Warum lehnst du mich nur ab?“, sein Ton wurde zunehmend ungehaltener, während er erfolglos versuchte, ihren Blick zu erhaschen. „Ich merke doch, dass du...“, setzte er ununterbrochen fort, „...dass ich Dir nicht gleichgültig bin. Bedenke bitte, was für Konsequenzen Deine Ablehnung haben könnte.“ An dieser Stelle seines Monologs schnaufte der Mann ungeduldig. „Ach was, ich brauche mich doch nicht zu rechtfertigen, zu überzeugen. Das hatte ich nie nötig, werde es auch heute nicht haben. Komm...“, wobei er nach ihr griff, die widerstrebende junge Frau besitzergreifend an sich zog und gegen ihren Willen küsste. Dirk schleifte sein Opfer Richtung Sofa, stieß den Couchtisch beiseite. Seine Uhr löste sich unbemerkt von seiner Hand, fiel sie auf den Boden. Mit Schwung warf Herr Droge Frau Kalt auf das Sofa, entkleidete sich mit einer Hand, während er Stephie mit der anderen gedrückt hielt. Dann zerriss er ihre Jogginghose und den hellblauen Slip, drang stark erregt mit voller Wucht in sie hinein. Stephie – die wieder ein wenig zur Besinnung kam – versuchte ihn erneut abzuwehren. Doch dies geschah ohne Erfolg. Erst als er in sie ejakuliert hatte, zog er seinen Penis aus ihr heraus, begann sich rasch anzukleiden. Auch Stephanie streifte sich provisorisch etwas über. Ihre Instinkte waren geschärft. Blitzschnell rannte sie zur Küchenecke und holte aus der Schublade ein langes Messer. Bevor Dirk die Türklinke anfassen konnte, um ihr Appartement zu verlassen, rief sie von einer Eingebung ergriffen: „Dirk!“ Noch während er sich mit einem verächtlich-kühlen Blick nach ihr umdrehte, stürzte sie auf ihn zu, rammte ihrem Peiniger das Messer in die Brust.
Stephanie hielt das blutverschmierte Messer noch in der rechten Hand; sie zitterte. Ihr Ein-Zimmer-Appartement lag fast im Dunkeln; nur der Vollmond warf bläuliches Licht in den Raum. Endlich hatte sie es getan. Wie war es nur dazu gekommen? Die Spuren mussten beseitigt werden, bevor jemand das Chaos, obendrein den Dreck, hier entdecken würde, z. B. die vorwitzige Beate, die sich für morgen früh mal wieder zum gemeinsamen Frühstück bei Stephie eingeladen hatte.
Die Büroangestellte ging in den Küchenteil des Zimmers, spülte das Messer ab. Als nächstes begab sie sich ins Badezimmer, holte Eimer plus Ajax aus dem Unterwaschtischschränkchen hervor. Wieviel Reinigungsmittel sollte es sein – eine Kapsel etwa? Nee, lieber zwei Kapseln. Sie füllte den Eimer mit Ajax mit heißem Wasser auf; die Mixtur schäumte relativ stark auf. Da bemerkte Stephanie, dass ihre Hände immer noch blutverschmiert waren, deshalb tauchte sie sie in den Schaum und das heiße Wasser ein. Fast hätte Frau Kalt ihre Hände reflexartig wieder herausgezogen aber nein, die brennende Hitze, die sie spürte, war wie eine Buße für sie oder eine reinigende Reue. Noch einen Moment, sie zog die geröteten Hände aus dem Behälter, ging mit Eimer einschließlich Wischlappen in ihren Wohnraum, schrubbte den Laminatboden, bis kein Tropfen Blut mehr sichtbar war. Nur die Lauge in dem Eimer glänzte violett in dem Vollmondzimmer.
Stephie goss das verdreckte Putzwasser in die Toilette, machte das Licht im Bad aus, streifte sich eine dünne Jacke über, griff nach dem Läufer, in dem die sterblichen Überreste eingewickelt waren. Die junge Frau zog ihn in die Nähe der Wohnungstür, öffnete sie und spähte vorsichtig hinaus: Der Flur war dunkel und still. Sie legte den Läufer vor die Tür, schloss diese. Langsam brachte sie alles nach draußen, legte ihre schwere Last in den Autokofferraum. Leise machte sie ihn zu, setzte sich in die Fahrerkabine und fuhr mit ausgemachten Scheinwerfern los.
Einige Zeit lang fuhr die Bürokauffrau planlos durch die nachtdunkle Landschaft. Nach 25 Minuten kam sie an die Schlupkothenerstraße. In diese bog die Blondine ein. „Hier muss doch irgendwo ein Baggersee sein.“, dachte Stephie angespannt. Und tatsächlich: Knappe fünf Minuten später stand der grüne Renault am fraglichen See. Stephie dachte nach. Sie hatte etwas Unwiederbringliches getan: Einen Mord begangen. Der Schweinehund hatte es mit Sicherheit nicht anders verdient; nichtsdestotrotz hatte sie einem Menschen das Leben genommen. Jetzt führte kein Weg mehr zurück. Wie sollte sie nun mit dem Leichnam vorgehen? Sie stieg aus und betrachtete traurig ihren Wagen. Nur einen Augenblick lang zögerte sie noch, bevor sie ihre Entscheidung traf. Sie stieg in den Renault, stellte ihn so nah ans Wasser wie nur möglich. Dann stieg sie mit ihrer Handtasche aus, löste die Handbremse. Das Auto schien es ihr nicht gerade einfacher machen zu wollen: Es blieb stehen. Sie musste Wohl oder Übel nachhelfen. Mit feuchten Händen, mitsamt schlotternden Knien, stolperte sie nach hinten zum Kofferraum. Gerade wollte sie den Wagen anschieben, als aus dem Inneren des Fahrzeugs ein Stöhnen und Rumpeln ertönte. Nein, das konnte unter keinen Umständen sein. Dirk Droge war ganz sicher tot, hatte sich über zwei Stunden lang nicht gerührt. Es waren nur ihre Gewissensbisse, die sie diese Geräusche hören ließen. Sie gab sich einen Ruck, berührte die Kofferraumklappe, schob aus Leibeskräften. Das Kofferraumschloss klickte seltsam auf, augenblicklich kam der Renault ins Rollen. Eine knappe Viertelstunde später versank er blubbernd komplett in den Tiefen des „Loch“. Stephie erschauerte und sah sich um. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie trat allein einen langen Nachhauseweg an. Wie sie es letztendlich dorthin geschafft hatte, wie lang ihr Fußmarsch dauerte, wusste sie nicht. Als sie ankam, zwitscherten Vögel, gleichzeitig lag blau-grauer Dunst auf den umliegenden Feldern. Eine bleierne Müdigkeit ergriff sie. Nur sehr schwer, zugleich langsam, kam sie die Treppen zu ihrer Wohnung hoch und öffnete die Tür. Wie im Traum schob sie den Couchtisch an seinen üblichen Platz, fiel schwer aufs Sofa, verfiel in Tiefschlaf.
***
Beate war zufrieden. In ihrem knallengen, hochmodernen Kostüm mit den chicen, neuen Highheels sah die Brünette einfach umwerfend aus. Allein schon auf dem kurzen Weg zu ihrem violetten Mini trafen sie zahlreiche interessierte Männerblicke. Es war halb sieben. Beate fuhr zum Frühstück bei Stephie, dem kleinen, naiven Weibchen. Sie bog in die Einfahrt von Stephies Wohnblock ein; sofort merkte sie, dass hier etwas nicht stimmte. Stephies alter grüner Renault stand nicht an seinem üblichen Platz, genau genommen war er überhaupt nicht da. Beate blickte auf ihre Armbanduhr: 6:50 Uhr. Sie war genau fünf Minuten zu spät dran. Normalerweise wartete die füllige Blondine mit brühwarmen Kaffee, knackfrischen Brötchen und leckerem Aufstrich auf ihre Freundin. Doch wenn der Wagen nicht da war... Beate klingelte trotzdem an der Tür, wartete. Ein schrilles Surren schreckte sie aus ihren Überlegungen auf. Sie drückte die schwere Tür auf, folgte einer dünnen Blutspur hinauf in Stephies Wohnung.
„Mein Gott, Stephie!“, schrie sie fast schon, als sie die Blonde kreidebleich in ihrer Wohnungstür stehen sah. „Bist du verletzt? Hattest du einen Unfall? Wo ist Dein Auto?“ „Ich...ich bin nur etwas müde, dazu krank, glaube ich. Eine Magendarmgrippe möglicherweise.“, stotterte Stephanie, während Beate sie recht unsanft beiseite schob und nach allen Seiten umherblickend in dem Appartement stehenblieb. Es schien, als glaube sie, die Antworten auf ihre Fragen nur hier finden zu können. Dito: Einige Merkwürdigkeiten fielen auf. Der kleine, rote Läufer fehlte und etwa an der Stelle, wo er gelegen hatte, fiel eine winzige, ein wenig eingetrocknete Blutlache auf. Hier endete die Blutspur aus dem Flur. Erstaunt zog Beate die Augenbrauen hoch, dachte: „Blutspuren bei dieser Unschuld vom Lande. Passt so gar nicht zusammen.“ Dann erst merkte sie, dass diesmal kein dampfendes Frühstück auf dem Couchtisch wartete. Erstaunt sank sie aufs Sofa. Unterm Tisch lag eine Männerarmbanduhr. „Uuh, hast du heute Männerbesuch gehabt?“, wollte Beate soeben anmerken, als sie wahrnahm, dass es sich hierbei um Dirk Droges Chronometer handelte. Rasch holte sie ein Plastiktütchen aus ihrer Tasche; las den Gegenstand auf, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Die so eingewickelte Uhr verstaute sie gerade in ihrer Tasche, als Stephanie von der Toilette zurückkehrte, wo sie sich offensichtlich erbrochen hatte. Beate blieb diesmal nicht lange bei Stephanie. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass die hübsche Blondine auch ihr etwas antat, so wie der Person, von der die ominösen Blutspuren stammten. Schnell rannte Beate die Treppen hinunter, die sie noch vor einigen Minuten hinauf gegangen war und stieg in ihren Mini. Bevor sie mit dem Handy auf der Arbeit anrief, um sich für wichtige, dringend anfallende Behördengänge einen halben Tag frei zu nehmen, verriegelte sie von innen alle Türen. Danach fuhr Beate Hars zur nächstgelegenen Polizeidienststelle in Mettmann, um dort ein in Frage kommendes Verbrechen anzuzeigen. Die hysterisch wirkende Dame wurde von den Beamten mit einem wohlwollenden Zwinkern an Herrn Steinweg verwiesen.
Max Steinweg – 31 Jahre alt, frisch geschieden, seit einigen Tagen Kommissar – hatte nicht viel Arbeit. Recht gelangweilt saß er morgens um 8:00 Uhr bei einer Tasse Kaffee in einen Zeitungsartikel vertieft. Sein aktuellster – zugegebenermaßen auch erster richtiger Fall – ein Raubüberfall an einer 79-Jährigen in der Einkaufspassage – genügte seinen beruflichen Anforderungen sowie Ambitionen in keiner Weise. Außerdem war er jetzt schon dabei, die Täter, zwei Jugendliche, dingfest zu machen. Einen der Beiden hatte man unweit des Tatorts an einem Kiosk, als er sich gerade Zigaretten kaufen wollte, gefasst. Der 16-Jährige war kurz davor, seinen Kumpel zu verpfeifen. Wahrlich keine Herausforderung für einen ambitionierten Jungkommissar. Ein Mord sollte es sein. Einen Mord wollte er lösen. Man schien es ihm nicht zuzutrauen und hatte ihn erst mal – zur Übung sozusagen – dieses kleine Verbrechen anvertraut. Typisch Aasgeier – die alten Kommissare – greifen sich die besten Häppchen vom Kadaver ab. An diesem fraglichen Morgen sollte sich das ändern. Davon wusste Steinweg nichts, auch dann nicht, als eine junge Frau – blass, des Weiteren zitternd – sein Büro betrat. Besonders glaubwürdig erschien Herrn Max an Beate nichts – weder ihre Erscheinung, noch ihr Anliegen. Lauter fadenscheinige Behauptungen stellte die junge Frau auf aber da nun mal allen Hinweisen, die auf ein mögliches Verbrechen hindeuten, nachgegangen werden musste, nahm der junge Kommissar Beates Anzeige schweren Herzens zu Protokoll. Noch ahnte er nicht, wie dramatisch sich dieser Fall schon bald entwickeln würde.
Stephanie meldete sich für einen Tag krank. Der Schlafmangel und die Anspannung dieser tragischen letzten Nacht zollten ihren Tribut. Ihr war übel – sie brauchte dringend Schlaf, als auch Ruhe. Doch das Geschehene des letzten Abend und der vergangenen Nacht ließen ihr keine Ruhe. Die Schelle. Schon wieder die Schelle. Träumte sie noch oder war sie schon wach? Stephie legte sich ein Couchkissen auf ihren Kopf. Doch das Läuten hörte nicht auf. Zwölf Uhr Mittags. Seit gestern Abend das dritte Mal Besuch. Normalerweise kamen lange nicht so viele Leute bei ihr vorbei. Benommen torkelte sie zur Tür, betätigte den Öffnungsmechanismus, ließ jedoch ihre Appartementtür sicherheitshalber zu. Im Flur erklangen Schritte. Jemand klopfte. Stephanie spähte durch den Spion. Sie wurde bei dem, was sie da sah, sofort hellwach: Vor der Tür standen zwei Männer, ein Streifenpolizist, ein weiterer in zivil; sicherlich auch ein Gesetzeshüter. Frau Kalts Herz blieb fast stehen. Durch ihren Kopf schoss immer wieder die gleiche Frage: „Wie sind die so schnell dahinter gekommen?“
Die Polizisten stellten sich vor. Der in zivil hieß Max Steinweg, war Kommissar. Er bat, hereinkommen zu dürfen. Er hatte von einer Person, die gern ungenannt bleiben wollte, einen Hinweis erhalten: Blut und eine Armbanduhr unterm Couchtisch. Die Uhr war Stephie völlig entgangen. Das Blut... Sie schaute auf den Boden. Erst jetzt registrierte sie die eingetrockneten Blutflecke. Wie konnten die ihr nur entgangen sein? Dagegen nahm Herr Steinweg das Blut sofort zur Kenntnis, entnahm hiervon eine Probe. Er und der Streifenpolizist inspizierten noch einige Minuten lang Stephies Wohnung. Gleichzeitig stellten sie lästige Fragen. Die junge Frau verweigerte konsequent alle Antworten. Zum Schluss drückte Herr Steinweg Stephanie seine Visitenkarte in die Hand und bemerkte: „Ach ja, Frau Kalt. Bitte verlassen Sie in nächster Zeit nicht die Stadt. Sobald die Laborergebnisse vorliegen, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Auf Wiedersehen.“ Die Bürokauffrau erwiderte ihm nichts. Sie nickte nur mit dem Kopf.
Einige endlose Tage vergingen; Frau Stephanie Kalt wurde bei der Polizei vorgeladen. Auf der Wache begrüßte man sie sehr kühl: „Nun, Frau Kalt, wir kommen gleich zur Sache. Die DNA-Analyse hat ergeben, dass es sich bei dem bei Ihnen aufgefundenen Blut, um das Blut Ihres Arbeitgebers, Herrn Dirk Droge, handelt. Wir haben auch seinen Leichnam gefunden, verscharrt in einem kleinen Waldstück nahe an der Düsseler Mühle. Sie stehen unter dringendem Mordverdacht. Sie sind verhaftet. Alles was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Sie haben Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen einer gestellt.“ Herr Steinweg, der soeben all dies gesagt hatte, drehte sich um, ferner wandte er sich an einen dabeistehenden Polizisten in Streife: „Herr Meinolf, führen Sie Frau Stephanie Kalt bitte ab.“
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Max Steinweg ermittelte. Da es nun mal sein aller erster richtiger Mordfall war, tat er dies mit vollstem Einsatz. Mit seiner Begeisterung, wie sie in dieser Art nur bei Berufsneulingen vorkommt, versuchte er, seiner mangelnden Berufserfahrung zuvor zu kommen. Leider geht mit einem Mangel an Erfahrung auch die Unfähigkeit Hand in Hand, der inneren Stimme – Instinkt und Intuition – folge zu leisten, die nun mal, auch wenn dies ungern akzeptiert wird, zu dem grundlegensten Arbeitswerkzeug eines wirklich guten Polizeikommissars gehört.
Max Steinweg obduzierte die Leiche, befragte eingehend die Hauptverdächtige mitsamt anderen Personen aus dem persönlichen als auch beruflichen Umfeld des Toten, stellte Indizien zusammen und – das war ein gewichtiger Verfahrensfehler – ordnete diese in die Kategorie „richtiger“, stichhaltiger Beweise ein. Die Hauptbeweise waren für ihn die Armbanduhr, überdies das Blut in Stephies Zimmer. Die Kronzeugen stellten für den unerfahrenen Kommissar eine ältere Nachbarin – die wie aus dem Nichts zur fraglichen Zeit laute Geräusche, ähnlich wie bei einem heftigen Streit, aus Frau Kalts Wohnung wahrgenommen haben wollte - sowie nach dem sich der Mordfallverdacht erhärtet hatte, auch Beate Hars. Zufrieden hatte Herr Steinbeck kürzlich Stephies Geständnis, die unter dem Druck zahlreicher Verhöre eingeknickt war, protokolliert. Der Behauptung von Eva Koscht, dass Stephie hinter ihrem „Verlobten“ Dirk her war, fehlte einiges an Zusammenhang, hatte jedoch einen Überschneidungspunkt mit der Aussage der Mörderin selbst, die Herrn Droge eine Vergewaltigung im Vorfeld des Gewaltverbrechens unterschob. Nein, an eine Vergewaltigung glaubte der Kommissar nicht, eher an eine Verführung des Opfers mit monetärem Ziel. Allem Anschein nach konnte Stephie eine Heirat mit Dirk nicht erzwingen. Sodann rächte sie sich an ihm mit einem hintertückischen Mord.
Die Beweise sprachen eine ebenso klare Sprache, meinte Herr Steinweg. Die Mordwaffe, ein Messer, das perfekt zu der Stichwunde in der Brust passte, fand die Spurensicherung in Stephies Besteckfach. Gut, der Begriff „Mordwaffe“ war, was das Messer anging, nicht völlig korrekt, war doch der Tod selbst, erst Stunden nach dem Einstich „durch Einwirkung eines harten Gegenstandes auf den Hinterkopf“, eingetreten. Dieser Gegenstand war ein Stück Holz; kein Problem, so etwas in dem Wald, wo die Leiche gefunden wurde, aufzutreiben und spurlos wieder verschwinden zu lassen. Frau Kalt hatte eingeräumt, dass sie glaubte, Dirk wäre schon an dem Messerstich gestorben. Ihre Aussage, Auto mitsamt Leiche versenkt zu haben, schien im Lichte neuester Erkenntnisse aus Zeugenaussagen inklusive Beweisen, absolut unglaubwürdig. Ja, in der Lunge des Toten wurde kein Wasser vorgefunden. Wer würde da noch nach dem grünen Renault tauchen, um damit unnötig Steuergelder zu verschwenden, wenn man eine Verknüpfung des Autos mit dem Verbrechen endgültig ausschließen konnte? Wahrscheinlich um die Hauptschuld an dem Mord von sich zu weisen, erfand die Mörderin die Leiche im versenkten Auto und verweigerte das Geständnis, den Tod Herrn Droges mit einem Holzscheit nachgeholfen zu haben. Alles hatte einen so ungetrübten Schein von Schuld, dass Einwände seitens Herrn Meinolfs, wie etwa der, dass der kleine rote Läufer nicht beim Leichnam aufgefunden wurde oder dass es sich bei dem Messerstich um Notwehr handeln könne oder es der anderen These an Stichhaltigkeit mangele, wurde von Herrn Max Steinweg – der langsam anfing, die Lösung seines ersten Mordfalls zu feiern – beinahe lachend von der Hand gewiesen. Sogar die zuständige Staatsanwältin Dr. Hirschfuß konnte der Jungkommissar mit seinem Einsatz, in Verbindung mit frischem Enthusiasmus, von der nachgewiesenen Schuld Stephanie Kalts an einem Mord „aus niederen Beweggründen“ - da wegen Habgier – überzeugen. So kam es, das die junge, einsame, vergewaltigte Bürokauffrau Stephanie Kalt eines Verbrechens überführt wurde, das sie nie begangen hatte und per Gerichtsurteil lebenslänglich dafür bekam. Die Akte „Mordfall Dirk Droge“ wurde mit zufrieden stellendem Ergebnis geschlossen.
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Sauberer hätte sie kaum sein können, die hochmoderne, über zwei Ebenen gehende 85 qm-Wohnung von Eva Koscht. Die gelernte Speditionskauffrau aus der Warenannahme bei „Droge Baustoffe“ stand an ihrer Minibar und trank einen siebenjährigen Havana Club. Ihr enganliegendes „kleines Schwarzes“ betonte ihre wohlgeformten Hüften und grazilen Beine. Ihre hellblauen Augen stachen beeindruckend aus dem von schwarzen Haaren umrandeten Gesicht hervor. Sie war sehr stolz auf ihr Aussehen. Diesem und ihrer grenzenlosen Hartnäckigkeit hatte Eva es zu verdanken, Dirk Droge so lange an sich zu fesseln, wie dies keine seine anderen Partnerinnen geschafft hatte. Die Verlobung vor drei Jahren war ein Moment größten Triumphs für Frau Koscht gewesen. Leider ließ Dirk, die immer wieder von Eva zur Sprache gebrachte Hochzeit, lange schleifen. Zu lange, letztendlich... Und dann kam dieses blonde Flittchen, diese Stephanie Kalt. Dirk Droge war offensichtlich in dieses Pummelchen verliebt. Kaum zu glauben. Er war am Rotieren, unternahm zahlreiche Versuche bei dieser... dieser Stephie. So hatte Eva ihren Verlobten nie zuvor erlebt. Frau Kalt zeigte Dirk bisweilen ihre kalte Schulter. Früher oder später würde sich das wohl ändern; Droge konnte verdammt charmant, sehr unwiederstehlich, sein. Eva Koscht goss sich den dritten Drink ein und schluckte ihn rasch hinunter. Ihr Blick fiel zufälligerweise auf die „Rheinische Post“ Ausgabe für Mettmann - die Regionalzeitung, die die Haushaltshilfe Ludmila wie üblich auf den Küchentisch gelegt hatte. Die Hauptschlagzeile lautete: „Mörderin von Dirk D. Ermittelt. Örtliche Polizei feiert schnellen Erfolg. Der Prozess...“
Eva Koscht kannte den Prozess. Sie brauchte nichts darüber zu lesen. Vor Gericht hatte Eva gegen ihre Arbeitskollegin ausgesagt. Die zusammengekauerte, resignierte Gestalt, die ungläubig geweiteten blauen Augen Stephanies, die die Speditionskauffrau bei ihrer Aussage anschauten, erfüllten Eva immer noch mit einem schaurigen Wohlgefühl. Die Zeichen standen auf Sieg!
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Die Baubranche feierte. Neue Verträge. Neues Geld. Etwas tat sich auf dem Markt. Wirtschaftsboom. Alles, was Rang und Namen hatte in der Branche, feierte den erreichten Gewinnüberschuss. Der taffe Herr Droge war selbstredend mit von der Partie; es war gut, seine Kontakte zu pflegen. Doch schon wenige Stunden später entschuldigte er sich mit heftigen Kopfschmerzen und ging. Auf dem Weg zu seinem roten Porsche summte er vor sich hin. Da kam ihm in den Sinn, dass er soeben das eine oder andere Bier zuviel konsumiert hatte. Er seufzte und rief mit dem Handy ein Taxi. Der Jungunternehmer fuhr nie selbst, wenn er getrunken hatte. Er gab dem Taxifahrer ein Ziel an, dabei handelte es sich nicht um seine Hausanschrift.
Die Frau hatte den Geschäftsführer im Visier. Sie beobachtete ihn aus sicherer Entfernung, als er die Party aufsuchte und diese bald wieder mit dem Taxi verließ. Aus sicherer Entfernung folgte sie ihm. Der dunkle BMW war im Dunkeln glücklicherweise nur schwer erkennbar. Unbemerkt folgte sie dem Mercedes-Taxi, bis an ein ländlich gelegenes Wohnhaus in Niederschwarzbach. Sie war sich nicht ganz sicher, wen er hier um die Zeit besuchen wollte, sie ahnte es nur. Nachdem er Einlass gefunden hatte, ging sie an die Hausschließanlage und suchte nach dem Namen. Ja, hier stand er: S. Kalt. Eva Koscht parkte hinter einer großen Tanne, beschloss, in ihrem Auto abzuwarten, bis... Bis er sich zum Beispiel auf dem Weg machte von ihr. Dieses elende Schwein.
Manchmal macht Anspannung müde. Eva schlief ein. Als sie aufwachte, hörte sie, wie jemand einen Kofferraum schloss und ein Auto leise und unbeleuchtet losfuhr. Sie rappelte sich auf, rieb an ihren müden Augen, setzte sich aufrecht hin, drehte den Zündschlüssel und drückte aufs Gaspedal.. Verdammt, der Motor wollte einfach nicht anspringen; nicht beim Ersten mal, auch nicht beim Zweiten, Dritten, Vierten... Erst beim fünften Versuch setzte sich der Gebrauchtwagen unsanft in Bewegung. Eva sah sich um, kniff dabei die Augen zusammen; dort in der Ferne im faden Schein einer Straßenlaterne, rollte nicht allzu schnell ein Auto. Eva beschleunigte den BMW bis sie so nah an das andere Fahrzeug kam, dass sie ihm, selbt ungesehen, folgen konnte. Sie wollte eigentlich Näheres erkenen; ob es wirklich Stephanies alte Karre war und wie viele Personen da drin saßen. Wenn dies wirklich diese unverschämte Person sein sollte, warum um Himmelswillen fuhr sie dann stadtauswärts statt nach Mettmann hinein, um Dirk beispielsweise zum elterlichen Haus in die Danziger Straße zu bringen? Was hatte das Blondchen nur vor? Dann bog Stephie nach links ab. Warum an dieser Stelle, an der garantiert keine richtige Straße war? Eva dachte nach; da war doch dieser Baggersee, an dem sie vor einigen Jahren mit Dirk einige heiße Stunden verbracht hatte. Hatte er einen Namen? Unter einer Leuchte tauchte aus dem durch silberne Mondlichtstreifen durchschnittenes Dunkel ein Wegweiser auf: Baggersee. Na toll, das half ihr auch nicht weiter bei der Namenssuche. Wie hatten sie ihn noch genannt, sie und Dirk? Genau: Loch; trotz der etwas unheimlichen Situation konnte sich Frau Koscht ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Loch...
Wenige Minuten später stand das verfolgte Fahrzeug am Loch und, ja, es war tatsächlich der alte, grüne Renault, unverkennbar Stephies Mühle. Eva hielt, verborgen in der Finsternis des den See umgebenden Waldes. Etwas tat sich: Stephie und... und niemand sonst stieg aus. Irgendwie enttäuscht desillusioniert zog die Dunkelhaarige eine Grimasse und senkte ihre Schultern. Hatte sie etwa Dirks Abfahrt mit einem Taxi verpasst? War Stephanie gar allein am See, dachte verträumt über ihre Chancen beim eigenen Chef nach, diese Dirne? Stephanie blieb weiterhin allein, nahm nach einer Weile etwas aus dem Auto heraus und ging zum hinteren Teil ihres Fahrzeugs. Gespannt beugte sich Eva vor, um mehr erkennen zu können. Nun sah es so aus, als würde die Blondine etwas aus dem Kofferraum holen wollen aber sie entschied sich wohl anders und verharrte einen Moment lang ruhig. Eigenartig. Und dann – Eva konnte kaum ihren Augen trauen – schob Stephie den Wagen an, bis er langsam ins Rollen kam, in den See fuhr und nach einer kleinen Ewigkeit dort versank.
Was hatte dies nur zu bedeuten? Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Was tat diese Irre nur da? Eva schüttelte irritiert den Kopf. Und was nun? Sie musste hier bleiben. Stephie machte sich per pedes auf dem Weg. Sie ging geradezu auf den BMW zu. War Eva doch nicht unentdeckt geblieben? Sie schluckte, ihre Pupillen weiteten sich. Stephie ging weiterhin auf Evas Versteck zu. Sie war rund fünf Meter von dem Fahrzeug entfernt, als sie plötzlich nach rechts einlenkte und stehenblieb. Dirks Verlobten rannen Angstschweißperlen von der Stirn. Alles war vorbei, sie war geoutet. Eine Ausrede musste her. Just in diesem Moment setzte Frau Kalt ihren Fußmarsch fort. Schon bald verschwand sie in der Dunkelheit. Eva atmete erleichtert auf. Kurze Zeit später warf sie den Motor an und fuhr etwas näher an „Loch“ heran. Sie stieg aus und hörte etwas im Wasser, ein Plätschern oder Blubbern. „Hilfe! Hilf mir!“, hörte sie Dirk Droge rufen. Sein Rufen klang dumpf, wie ein Schrei aus dem Erdboden.
***
Er erwachte im Dunkeln, seine Brust schmerzte und er bekam kaum Luft. Er war in irgendetwas eingewickelt. Wie war es dazu gekommen? Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war ihr weicher warmer Körper unter sich, das Empfinden von Triumph, als er sich wieder ankleidete... Was war dann geschehen? Er wollte doch wieder gehen... Warum lag er hier in diesem Stoffding, schmerzerfüllt? Ein Ruck warf Dirk hin und zurück; der Läufer um ihn herum rollte sich leicht auf. Endlich konnte er seinen Aufenthaltsort definieren: Ein gammeliger Kofferraum. Wie im Albtraum kam seine Erinnerung wieder: Alles ging so rasch; das Licht seines Bewusstseins war aus, nachdem sie über ihn hergefallen war. Sie musste ihn hier hinein gelegt haben. Was hatte sie nur mit ihm vor? Jemand berührte von aussen den Kofferraum. Er hörte es ganz deutlich. Er begann zu strampeln, wollte schreien, aber nur ein Wimmern entrann seinen Lippen. Er bemerkte, wie das Auto um ihn herum langsam losfuhr. Es platschte, Wasser! Ein Blubbern ertönte. Mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung befreite er sich aus dem Teppich und boxte mit geballten Fäusten gegen die Kofferraumklappe. Sie gab nach; durch einen hauchdünnen Schlitz drang Mondschein in das Innere. Dirk blinzelte, der Wagen rutschte weiter in den See; Wasser drang jederorts ins Autoinnere. Während es dem Unternehmer gelang, die Klappe seines Gefängnisses völlig aufzuboxen, ging der grüne Renault völlig unter. Dirk schwamm heraus, kämpfte mit einer ihn zu überwältigen drohende Schwäche; Dirk schwamm weiter nach oben. Der See wollte ihn haben, das Auto ihn mit seinem Sog in die Tiefe reißen. Er kämpfte um sein Überleben. Jegliche Bewegung fiel ihm zunehmend schwerer. Das kalte Nass wirkte auf ihn lähmend. Noch eine letzte Bewegung. Plötzlich Luft, er tauchte auf, spuckte etwas Wasser aus, atmete schwer auf und rief aus Leibeskräften um Hilfe.
Eva hörte eine Stimme. Sie erkannte sie nicht in der ersten, zweiten, dritten und vierten Sekunde, erst in der Fünften. Rasch ordnete sie ihre Gedanken. Was machte Dirk hier? Woher kam sein Rufen? Dann erst begriff sie: Stephie hatte den Wagen in den See geschoben, um ihn mit Dirk zu ertränken. Aber warum hatte sich dieser nicht dagegen gewehrt? Sicherlich war er bewusstlos gewesen. Wie war es dazu gekommen? Sie unterbrach ihren Gedankenfluss. Jetzt musste sie in allererster Reihe diesen Missetäter von seinem ungewollten Bad befreien. Sie trat näher ans Gewässer und verharrte ratlos an seinem Ufer, als kalte Hände nach ihren Beinen griffen. Sie schrie, versuchte, den klammen Griff von sich zu treten, schaute hinunter. Angst gepaart mit Ekel und Verachtung beschlich sie. So schlecht hatte er noch nie ausgesehen – einer Moorleiche gleich - , das leibhaftige Abbild eines Zombies. Wäre er doch unter Wasser geblieben, statt sich hier an ihr aus den Tiefen des „Loch“ hochzuziehen. Einen Sekundenbruchteil lang glaubte sie, dass dieser Irre sie eher hinunterreißen würde.
Da lag er auf dem Bauch am Ufer, nass und erschöpft, sie hatte sich neben ihm hingehockt. Keiner von den Beiden sagte etwas. Eine tödliche Stille verband die Verlobten. Eva war sich noch nicht einmal sicher, ob Dirk überhaupt noch lebte. Sie wagte aber nicht, ihn anzufassen, um dem nachzugehen. Die Situation verwirrte sie, brachte sie völlig aus dem Konzept. Da stöhnte Dirk und rappelte sich im Zeitlupentempo auf. Sein Gesicht sah ausgelaugt und schmerzverzerrt aus. Müde blickte er seine Retterin an, ein Erkennen blitzte in seinen Augen auf und er versuchte, zu lächeln. Eva stand wortlos auf und trat an ihn. Er stützte sich auf ihr, zusammen gingen sie zum Auto und stiegen ein.
Erst hier, in der von einem Lämpchen beleuchteten Fahrerkabine, sah sie Blut auf seinem Hemd. Sie blickte fragend in seine Augen. „Ich werde es Dir erklären. Alles. Nachher. Nachdem ich mich zu Hause gewaschen habe. Bitte fahr mich... fahr uns heim.“ Eva fixierte ihr Nebenan mit dem Blick und startete den Anlasser.
***
Obwohl es schon gegen Mitternacht war – für Dirk und Eva sollte diese Nacht nicht so schnell ein Ende nehmen. Nachdem er sich gewaschen hatte, folgte eine langwierige Aussprache, inmitten welcher Eva mit vor Erregung zitternden blassen Lippen nachforschte: „Aber warum warst du bei ihr? Was habt ihr so lange gemacht?“ Seine Augen leuchteten dunkel und böse auf, als er langsam und betont antwortete: „Ich habe sie gefickt. Es war wunderschön, das Ficken mit ihr. Der beste Fick meines Lebens. Gegen ihren Willen und trotzdem der a l l e r b e s t e Fick.“ Unglaublich, wie er all dies aussprach, mit welcher Genugtuung, Wohltat, ohne auch nur einem Schimmer von Reue. „Du Mistkerl. Du verdammter Mistkerl!“, schrie Eva mit vor Wut und Verzweiflung tränengefüllten Augen. Mit der flachen Hand gab sie ihm eine Ohrfeige. Er lachte voller Hohn los. „Und Deine Wunde?“, brachte sie mit letzter Kraft hervor und deutete mit einem Zeigefinger auf die oberflächliche Verletzung, die sie zuvor mit Mullbinden verarztet hatte. Das Messer hatte nur eine Rippe verletzt. Weiter war es nicht gekommen. Stephie hatte im Affekt den Eindruck bekommen, viel tiefer hineingestochen zu haben. Überraschung und Schock selbst, hatten Dirk viel mehr bewusstlos werden lassen, als die potenzielle Schwere der Wunde.
„Sie wollte sich rächen, diese Dirne.“, erwiderte Dirk Eva. Mehr wollte die junge Frau nicht wissen. Sie griff nach Mantel und Schlüssel und verließ fassungslos die Wohnung. Als sie wenige Stunden später zurückkehrte, war Dirk nicht mehr da.
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Der Mann war atemlos. Er rannte durch den nur vollmondbeschienenen dunklen Wald und drehte sich oft um. War sein Verfolger immer noch hinter ihm? Oder war er ihm entkommen? Im Unterholz knisterte es nicht mehr wie zuvor. Die kleine Stichwunde an seiner Brust schmerzte wieder. Mit klopfendem Herzen und den Augenausdruck eines gehetzten Tieres blieb er stehen, suchte in der Jacketttasche nach seiner Fine-Packung und dem Feuerzeug. Er inhalierte den Zigarettenqualm. Das entspannte ihn etwas. Er wurde unachtsamer und überhörte das Rascheln des Laubs im Hintergrund. Erst als sein Peiniger hinter ihm stand, registrierte er seinen heißen Atem. Bevor er es schaffte, sich erschreckt umzudrehen, streckte ihn ein harter Schlag auf den Hinterkopf nieder. Er fiel ins weiche Laub und war sofort tot.
Sein Mörder zog mit dem Schuh ein Blatt über den Glimmstengel und drückte diesen mit dem Absatz platt. Dann verscharrte er sein Opfer im kalten Erdloch und beseitigte die Spuren des soeben begangenen Verbrechens.
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Eure Isabella Backasch