Essays von Isabella Backasch
Viertel nach zwei
„Es war das Meer“ , dachte ich damals. Ja, ja, das weiß ich heute mit Sicherheit. Das Meer am Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen tastend seine nasse Oberfläche berühren, als wollten sie es wecken, nur sanft, ganz zart, beinahe sehnsüchtig. Das Meer in Deinen Augen damals, als Du vom Kliff hinabschautest, schelmisch, halt ein Junge. Ich war fasziniert. Ich? Ich. Wer war ich? Wer bin ich? Ein Junge? Ein Mädchen? Heute. Hier. Gestern. Dort. Bin ich schon erwachsen? Wirklich? Wann ist das passiert? Ich kann mich nicht an diesen Augenblick erinnern. Eine Flut! Gab es davor eine Flut? Hat sie mich weggerissen? Und am anderen Ufer meines, nicht meines Lebens, erwachte ich als ein Anderer. Oder eine Andere? Ich glaube, das alles hat gerade erst gestern stattgefunden. Wenn ich jedoch mehr und mehr darüber nachdenke: Vielleicht ist es ja auch schon tausend Jahre her gewesen. Damals. Am Meer. Neben dem einsamen, jungen Baum. Selbst gleich einem einsamen jungen Baum am Strand inmitten von umgefallenen toten Stümpfen. Erstickt. Gefällt durch Stürme. Auf dem Meer. Stürme in meinem Leben. Damals auf einem Fels der Hoffnung sitzend, den Blick via Meer gekehrt, wehten meine Haare noch frisch Richtung Zukunft, Glück. Glück? Habe ich es gefunden? Das Meer. Die Hafenpromenade. Der lange Weg ins Leben. Ich wollte nicht springen. Ich könnte. Wer würde mich retten? Ein Nichtschwimmer? Oder eine Nichtschwimmerin? Später ist mein Boot davongesegelt. Ich setzte mich hinein, blickte nicht mehr zurück nach der steilen Küste. Der steilen Küste, halbtot, halb zerstört durch den Zahn der Zeit. Zunichte gemacht durch die Stürme, die auf ihr tobten. Ein Wort hat mich wie ein Boot weggetrieben. Ein „Ja“ verhängnisvoll wie die unentdeckten Tiefen des Todes.
Und da waren Deine Augen. In ihnen glänzte Hoffnung in dem Moment, als wir uns zum letzten Mal wiedersahen. Ein nacktes Versprechen auf meinen Lippen: „Ich komme wieder. Bald. Vielleicht schon morgen.“ Ich ging. Doch irgendetwas in mir blieb stehen. Hinterfragte die nicht gut durchdachte Entscheidung: „Werde ich es bereuen?“ Bin ich heute noch der Gleiche wie gestern? War ich gestern schon die Gleiche wie heute? Der Teil meines Lebens, der vor Jahren noch ein Teil von mir war. Gab es ihn wirklich? Hast Du damals schon existiert? Oder schreibe ich nur E-Mails an einen Engel?
Ich saß in dem Haus am Meer. Die alte Standuhr schlug viertel nach zwei, als mein Blick das letzte Mal an ihrem braun gebeizten Holz hängenblieb. Damals verstand ich nicht. Es gab nichts zu verstehen. Für mich stand einfach fest: Eine kurze Reise ist kein Abschied auf Ewig. Doch mein Herz erstarrte. Ungläubig. Es flüsterte: „Auf Wiedersehen. Für immer.“
EIN ABSCHIED, AUCH WENN FÜR EWIG, DAUERT NUR EINEN AUGENBLICK.
Mehr Essays von Isabella Backasch? Klicke hier:
http://www.bookrix.de/-sommerregen
Viertel nach zwei
„Es war das Meer“ , dachte ich damals. Ja, ja, das weiß ich heute mit Sicherheit. Das Meer am Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen tastend seine nasse Oberfläche berühren, als wollten sie es wecken, nur sanft, ganz zart, beinahe sehnsüchtig. Das Meer in Deinen Augen damals, als Du vom Kliff hinabschautest, schelmisch, halt ein Junge. Ich war fasziniert. Ich? Ich. Wer war ich? Wer bin ich? Ein Junge? Ein Mädchen? Heute. Hier. Gestern. Dort. Bin ich schon erwachsen? Wirklich? Wann ist das passiert? Ich kann mich nicht an diesen Augenblick erinnern. Eine Flut! Gab es davor eine Flut? Hat sie mich weggerissen? Und am anderen Ufer meines, nicht meines Lebens, erwachte ich als ein Anderer. Oder eine Andere? Ich glaube, das alles hat gerade erst gestern stattgefunden. Wenn ich jedoch mehr und mehr darüber nachdenke: Vielleicht ist es ja auch schon tausend Jahre her gewesen. Damals. Am Meer. Neben dem einsamen, jungen Baum. Selbst gleich einem einsamen jungen Baum am Strand inmitten von umgefallenen toten Stümpfen. Erstickt. Gefällt durch Stürme. Auf dem Meer. Stürme in meinem Leben. Damals auf einem Fels der Hoffnung sitzend, den Blick via Meer gekehrt, wehten meine Haare noch frisch Richtung Zukunft, Glück. Glück? Habe ich es gefunden? Das Meer. Die Hafenpromenade. Der lange Weg ins Leben. Ich wollte nicht springen. Ich könnte. Wer würde mich retten? Ein Nichtschwimmer? Oder eine Nichtschwimmerin? Später ist mein Boot davongesegelt. Ich setzte mich hinein, blickte nicht mehr zurück nach der steilen Küste. Der steilen Küste, halbtot, halb zerstört durch den Zahn der Zeit. Zunichte gemacht durch die Stürme, die auf ihr tobten. Ein Wort hat mich wie ein Boot weggetrieben. Ein „Ja“ verhängnisvoll wie die unentdeckten Tiefen des Todes.
Und da waren Deine Augen. In ihnen glänzte Hoffnung in dem Moment, als wir uns zum letzten Mal wiedersahen. Ein nacktes Versprechen auf meinen Lippen: „Ich komme wieder. Bald. Vielleicht schon morgen.“ Ich ging. Doch irgendetwas in mir blieb stehen. Hinterfragte die nicht gut durchdachte Entscheidung: „Werde ich es bereuen?“ Bin ich heute noch der Gleiche wie gestern? War ich gestern schon die Gleiche wie heute? Der Teil meines Lebens, der vor Jahren noch ein Teil von mir war. Gab es ihn wirklich? Hast Du damals schon existiert? Oder schreibe ich nur E-Mails an einen Engel?
Ich saß in dem Haus am Meer. Die alte Standuhr schlug viertel nach zwei, als mein Blick das letzte Mal an ihrem braun gebeizten Holz hängenblieb. Damals verstand ich nicht. Es gab nichts zu verstehen. Für mich stand einfach fest: Eine kurze Reise ist kein Abschied auf Ewig. Doch mein Herz erstarrte. Ungläubig. Es flüsterte: „Auf Wiedersehen. Für immer.“
EIN ABSCHIED, AUCH WENN FÜR EWIG, DAUERT NUR EINEN AUGENBLICK.
Mehr Essays von Isabella Backasch? Klicke hier:
http://www.bookrix.de/-sommerregen